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Gender Gap nicht nur beim Gehalt: Männer nutzen KI-Tools in der Jobsuche häufiger als Frauen.

  • Autorenbild: Marcus
    Marcus
  • 18. Sept.
  • 4 Min. Lesezeit
31 % der Männer, aber nur 18 % der Frauen nutzen kostenpflichtige KI-Tools für ihre Jobsuche.

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Auf den ersten Blick eine Statistik wie viele andere – auf den zweiten Blick jedoch ein Hinweis darauf, dass sich eine neue digitale Kluft im Arbeitsmarkt auftut: Wer hat Zugang zu modernen Tools, wer nutzt sie aktiv – und welche Konsequenzen ergeben sich für Bewerber:innen und Unternehmen?


Ich habe diese Zahl aus einem Artikel der FT: In ihrem Artikel The AI arms race in hiring is a huge mess for everyone” beschreibt die FT-Journalistin Sarah O’Connor ein Wettrüsten zwischen Arbeitgebern und Bewerbern:

  • Unternehmen setzen KI ein, um Bewerbungen schneller zu screenen, Lebensläufe automatisch zu analysieren oder asynchrone Video-Interviews zu bewerten.

  • Bewerber:innen kontern, indem sie ihrerseits ChatGPT & Co. nutzen, um Anschreiben zu verfassen, Antworten für Interviews vorzubereiten oder ihren CV für ATS-Systeme zu optimieren.

Die Zahl zum Gender-Gap stammt laut dem Artikel aus einer Studie von Neurosight, einem Anbieter von Online Assessments, die zeigt: Männer greifen deutlich häufiger zu kostenpflichtigen Tools als Frauen.


Warum die Zahl relevant ist

Dass KI-Tools heute einen Unterschied machen, ist unbestritten, einige Vorteile sind zum Beispiel:

  • Sie optimieren Bewerbungsunterlagen so, dass sie von ATS-Systemen besser gelesen werden.


  • Sie verkürzen die Vorbereitungszeit für Interviews.


  • Sie senken die Hemmschwelle, sich auf anspruchsvollere Positionen zu bewerben.

Wer diese Tools nicht nutzt, startet mit einem Nachteil. Und wenn Frauen seltener als Männer darauf zugreifen, kann die bestehenden Ungleichheiten im Arbeitsmarkt weiter verschärfen.

Mögliche Ursachen des Gender-Gaps

Die Unterschiede in der Nutzung von KI-Tools lassen sich nicht mit einem einzigen Grund erklären. Wahrscheinlich wirken mehrere Faktoren zusammen:

Kostenbewusstsein

Viele KI-Tools sind in der Basisversion kostenlos, entfalten ihr Potenzial aber erst in der Pro-Version. Frauen investieren laut Studien im Schnitt vorsichtiger in digitale Abos – möglicherweise auch, weil sie häufiger von Einkommensunterschieden betroffen sind.

Technologie-Skepsis

Untersuchungen zeigen, dass Frauen bei neuen Technologien häufiger Bedenken zu Datenschutz, Sicherheit und Ethik äussern. Bei Tools, die sensible Bewerbungsdaten verarbeiten, wiegt dieses Argument schwer.

Vorbilder und Netzwerke

Männer sind in Tech-Communities stärker präsent, tauschen Tipps zu Tools aus und gelten häufiger als „Early Adopters“. Frauen sehen weniger Rollenvorbilder, die aktiv über den Nutzen solcher Tools berichten.


Zeitfaktor

Frauen übernehmen nach wie vor einen grösseren Anteil an Care-Arbeit. Wer weniger Zeit hat, hat auch weniger Gelegenheit, Tools zu testen oder sich einzuarbeiten.


Was bedeutet das für Bewerber:innen?

Unfaire Ausgangsbedingungen

Wenn Männer ihre Bewerbungen systematisch mit KI verbessern, wirken sie in CVs, Anschreiben und Interviews professioneller – unabhängig davon, ob sie tatsächlich qualifizierter sind.

Schlechtere Sichtbarkeit in ATS-Systemen

Immer mehr Unternehmen nutzen Applicant Tracking Systeme (ATS), die Lebensläufe nach Schlagwörtern und Struktur bewerten. Bewerbungen ohne KI-Feinschliff landen dadurch oft weiter unten im Ranking.

Selbstverstärkende Ungleichheit

Wenn Männer häufiger KI nutzen, sammeln sie mehr Interviewerfahrungen, erhalten schneller Jobangebote und steigen rascher auf. Frauen laufen Gefahr, noch stärker ins Hintertreffen zu geraten.

Die Folgen für Unternehmen

Verzerrte Bewerberpools

HR-Teams laufen Gefahr, durch KI-optimierte Bewerbungen unbewusst Männer zu bevorzugen. Der Eindruck von „besseren Bewerbungen“ kann täuschen.

Rückschritt bei Diversity

Eigentlich sollte KI helfen, Bias im Recruiting zu reduzieren. Wenn aber Bewerbungen ungleich optimiert sind, verstärkt KI indirekt Geschlechterungleichheiten.

Reputationsrisiken

Ein Recruiting-Prozess, der diese Unterschiede nicht berücksichtigt, wirkt unfair. Das kann Employer Branding und Candidate Experience beschädigen.

Was kann man tun, um diese Effekte zu eliminieren?

Jobsucherinnen

  • Kostenlose Tools nutzen: Auch die Free-Versionen von ChatGPT, Copilot oder Gemini liefern wertvolle Unterstützung, wenn man dann einen Überblick über Wirkung und Möglichkeiten hat, wenigstens temporär auf die Pro-Variante upgraden.

  • Peer-Learning: Frauen-Netzwerke könnten gezielt Workshops anbieten: „Bewerbung mit KI“.

  • Datenschutz bewusst gestalten: Nur relevante Daten einspielen, anonymisierte CV-Versionen testen.

Unternehmen

  • Transparenz: Offenlegen, wie Bewerbungen bewertet werden (ATS, Screening-Kriterien). Damit geht es an eine alte Schwachstelle im Recruiting der meisten Unternehmen: Klare Definition der Anforderungen und Auswahlkriterien - ich weiss, ist unangenehm, macht aber das Recruitingleben so viel einfacher.

  • Fairness-Check: Bewerbungen nicht nur nach Keywords, sondern auch nach Kontext und Potenzial bewerten. Das erfordert wiederum Qualifizierung der Hiring-Teams.

  • Unterstützung anbieten: Unternehmen könnten Bewerber:innen kostenlose Zugänge oder Credits zu KI-Tools bereitstellen, um Chancengleichheit zu fördern.

  • Bewusstsein im HR-Team: Recruiter:innen sensibilisieren, um Unterschiede in Bewerbungen einzuordnen.

Und in der DACH-Region?

Im deutschsprachigen Raum sind Daten zu geschlechtsspezifischer KI-Nutzung rar. Trotzdem zeichnen sich Trends ab:

  • Frauen investieren im Schnitt weniger in digitale Weiterbildung und stehen neuen Technologien kritischer gegenüber.

  • Gleichzeitig erwarten immer mehr Unternehmen in DACH, dass Bewerber:innen mit digitalen Tools vertraut sind – sei es für Bewerbungsprozesse, Online-Interviews oder die eigene Profilgestaltung. Und KI ist aktuell (und in absehbarer Zukunft) die Champions League der Digitalkompetenzen.

  • Der Gender-Gap könnte also in der Region sogar noch stärker durchschlagen, wenn nicht bewusst gegengesteuert wird.

Ein Beispiel: Während in den USA ATS-optimierte Bewerbungen längst Standard sind, legen viele DACH-Unternehmen noch Wert auf klassische CV-Formate inklusive Anschreiben, Zeugnisse und Bewerber:innen-Foto. Über die Aussagekraft muss ich hier nicht viel sagen, oder?!

Ausblick

Wenn sich am Gender-Gap in der KI-Nutzung nichts ändert, droht eine paradoxe Situation:

  • KI sollte eigentlich dazu beitragen, Vorurteile im Recruiting zu reduzieren.

  • Stattdessen schafft sie neue Unterschiede – diesmal basierend darauf, wer sich KI leisten will oder kann.

Die Verantwortung liegt auf beiden Seiten:

  • Bewerberinnen, die sich stärker trauen sollten, KI als Unterstützung zu nutzen.

  • Unternehmen, die aktiv für faire Bedingungen sorgen müssen, statt sich hinter „neutralen" Algorithmen zu verstecken.

Wenn der Zugang zu KI-Tools geschlechtsspezifisch unterschiedlich ist, droht eine neue Dimension von Ungleichheit im Arbeitsmarkt.

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