Recruiting: Alle hypen KI – aber 9 von 10 Unternehmen haben die Basics nicht im Griff
- Marcus

- 9. Sept.
- 4 Min. Lesezeit
Kaum ein HR-Event, das ohne Keynote über künstliche Intelligenz im Recruiting auskommt. Tools für CV-Screening, Chatbots, Predictive Hiring – die Schlagworte sind omnipräsent. Doch während die Branche KI feiert, sieht die Realität in vielen Unternehmen ganz anders aus: Neun von zehn Firmen haben noch nicht einmal die Grundlagen ihres Recruitings im Griff.
Das Ergebnis: unprofessionelle Prozesse, frustrierte Bewerber:innen und verpasste Chancen im Wettbewerb um die besten Talente.

Woran es heute im Recruiting krankt
Wer mit Kandidat:innen spricht, hört oft die gleichen Beschwerden – unabhängig von Branche oder Unternehmensgrösse:
Schleppende Reaktionszeiten
Wochenlange Wartezeiten auf eine Rückmeldung.
Bewerbungen, die im digitalen Nirwana verschwinden.
Bewerbende haben das Gefühl, schlicht nicht wichtig zu sein.
Komplizierte Bewerbungsprozesse
Formulare mit 20 Pflichtfeldern, Upload von Anschreiben und Zeugnissen.
Kein Mobile-First-Ansatz – Bewerben am Smartphone wird zur Tortur.
Lieblosigkeit in der Kommunikation
Automatisierte Standard-Absagen ohne persönliche Note.
Ghosting von Kandidat:innen in späten Prozessphasen.
Ein Recruiting, das kalt und austauschbar wirkt.
Fehlende Transparenz im Prozess
Kandidat:innen wissen nicht, wann sie mit einer Antwort rechnen können.
Stellenanzeigen sind unpräzise oder überfrachtet.
Interviewprozesse sind unklar und variieren je nach Abteilung.
Mangelhafte Einbindung der Hiring Manager
Führungskräfte verstehen ihre Rolle im Recruiting nicht.
Rückmeldungen verzögern sich, Interviews laufen unstrukturiert.
Am Ende entscheidet Bauchgefühl statt Kompetenzprofil.
Was das auf Bewerberseite auslöst
Die Folgen sind gravierend – und betreffen nicht nur die Candidate Experience, sondern auch die Arbeitgebermarke:
Frust und Vertrauensverlust: Wer wochenlang ohne Antwort bleibt, verliert das Interesse und das Vertrauen.
Negative Word-of-Mouth: Unzufriedene Kandidat:innen teilen ihre Erfahrungen auf Kununu, Glassdoor oder im Bekanntenkreis.
Abwanderung von Top-Talenten: Die besten Bewerber:innen haben Alternativen. Langsame oder unprofessionelle Prozesse führen dazu, dass sie sich für die Konkurrenz entscheiden.
Schaden für das Employer Branding: Recruiting ist oft der erste echte Kontaktpunkt – wenn der schlecht läuft, ist das Image dauerhaft beschädigt.
Wie man es besser macht – einfach, günstig, pragmatisch
Die gute Nachricht: Recruiting-Basics zu verbessern, ist nicht teuer. Oft braucht es mehr Haltung und Konsequenz als grosse Budgets.
1. Reaktionsgeschwindigkeit erhöhen
Ziel: Antwort innerhalb von 5 Werktagen – auch wenn es nur eine Zwischenmeldung ist.
Tools wie E-Mail-Autoresponder können schon helfen, Erwartungshaltung zu managen.
Ein verbindlicher Prozess-SLA (Service-Level-Agreement) für HR und Hiring Manager verhindert Verzögerungen.
2. Bewerbungsprozesse vereinfachen
Reduzieren Sie Pflichtfelder auf das Nötigste: Name, E-Mail, CV-Upload.
Mobile-Optimierung ist Pflicht – keine endlosen Formulare am Smartphone.
Verzichten Sie auf unnötige Anhänge wie Motivationsschreiben, wenn sie ohnehin kaum berücksichtigt werden.
3. Kandidatenkommunikation personalisieren
Nutzen Sie Standardvorlagen – aber individualisieren Sie sie mit Namen und Bezug zum Gespräch.
Bauen Sie kleine Wertschätzungselemente ein: „Danke für die Zeit im Interview“ wirkt Wunder.
Transparenz statt Schweigen: Auch eine Absage kann professionell und respektvoll formuliert sein.
4. Transparente Candidate Journey gestalten
Kommunizieren Sie den Prozess klar: „Sie hören innerhalb von 7 Tagen von uns.“
Nutzen Sie Checklisten oder kurze One-Pager, um Abläufe zu erklären.
Machen Sie Feedback zum Standard – auch wenn Kandidat:innen nicht ausgewählt werden.
5. Hiring Manager fit machen
Führen Sie kurze Trainings für Interviewtechniken ein.
Legen Sie Bewertungsbögen fest, um Entscheidungen vergleichbarer zu machen.
Erinnern Sie Führungskräfte an ihre Rolle: Recruiting ist keine Nebenaufgabe, sondern strategisch entscheidend.
KI-Hacks, die sofort helfen können
Hier zeigt sich der pragmatische Wert von KI – nicht in grossen Visionen, sondern in kleinen Hacks, die sofort Mehrwert bringen:
Automatisierte Terminplanung: Tools wie Calendly (mit KI-Add-ons) oder GoodTime sparen Ping-Pong-Mails.
CV-Screening light: Günstige ATS-Systeme wie Manatal nutzen KI, um Bewerbungen vorzustrukturieren.
Chatbots für FAQs: Einfache KI-gestützte Chatbots (z. B. Tidio, Paradox Lite) beantworten Standardfragen 24/7.
Text-Optimierung: KI-Tools wie Textio oder ChatGPT helfen, Stellenanzeigen prägnanter und inklusiver zu formulieren.
Interview-Notizen: Tools wie Metaview transkribieren Interviews automatisch – mehr Fokus aufs Gespräch.
💡 Wichtig: klein starten, testen, Erfahrungen sammeln. Nicht alles gleichzeitig, sondern gezielt die grössten Pain Points angehen.
Wo externe Beratung sinnvoll ist
Trotz allem: Manche Themen brauchen externe Unterstützung – aus drei Gründen:
Objektiver Blick Interne Teams sind oft betriebsblind. Ein externer Berater erkennt schnell, wo Prozesse haken.
Best Practices Externe bringen Erfahrungen aus anderen Projekten mit – und wissen, welche Lösungen wirklich funktionieren.
Struktur und Umsetzungskraft Beratung sorgt dafür, dass Verbesserungen nicht in guten Vorsätzen stecken bleiben, sondern umgesetzt werden.
Gerade wenn es um Themen wie ATS-Auswahl, Prozess-Redesign oder Training von Hiring Managern geht, lohnt sich externe Hilfe.
Warum das alles einzahlt – auf Image, Qualität und Bindung
Ein professionelles, einfaches Recruiting wirkt weit über die Besetzung einzelner Stellen hinaus:
Employer Branding: Bewerber:innen erzählen weiter, wenn sie respektvoll behandelt wurden – auch bei Absagen.
Qualität der Auswahl: Schnellere, strukturierte Prozesse erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass die besten Talente an Bord kommen.
Mitarbeiterbindung: Wer schon im Recruiting eine wertschätzende Kultur erlebt, identifiziert sich schneller und bleibt länger.
Reputation am Markt: Professionelles Recruiting signalisiert: Dieses Unternehmen ist organisiert, modern und attraktiv.
Oder plakativ formuliert: Recruiting ist das Schaufenster der Unternehmenskultur. Wer hier glänzt, gewinnt nicht nur Talente – er gewinnt Botschafter.
Fazit: Back to Basics – und dann KI
Bevor Unternehmen von „Predictive Hiring“ oder „Generative AI im Recruiting“ träumen, müssen sie die Hausaufgaben machen: schnelle Reaktionen, einfache Prozesse, transparente Kommunikation. Erst wenn diese Basics sitzen, entfalten KI-Tools ihre volle Wirkung – als Beschleuniger und Verstärker.
9 von 10 Unternehmen sind noch nicht so weit. Die gute Nachricht: Mit einfachen, günstigen und pragmatischen Schritten lässt sich das ändern. Und wer jetzt investiert, gewinnt nicht nur Bewerber:innen, sondern auch Ansehen, Qualität und Loyalität.








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