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Was Recruiter:innen schlechter macht – über Unsicherheiten, Erwartungsdruck und den Mut zur Klarheit

  • Autorenbild: Marcus
    Marcus
  • vor 3 Tagen
  • 5 Min. Lesezeit
Angst gehört dazu? Warum?
Angst gehört dazu? Warum?

Vor Kurzem habe ich darüber geschrieben, welche Ängste der Manager dazu führen, dass Recruiting-Prozesse schlechter werden. Das ist aber nur eine Perspektive - auch wir, die Recruiter:innen tragen unser Päckchen dazu bei.


Recruiter:innen sind oft die ersten Gesichter eines Unternehmens, die Kandidat:innen begegnen. Sie sind Moderatoren, Übersetzer, Markenbotschafter, Prozessmanager – und gleichzeitig Blitzableiter zwischen Fachbereich, HR und Bewerber:innen. Doch während sie täglich andere durch Auswahlprozesse führen, wird selten darüber gesprochen, wie viel Unsicherheit sie selbst begleitet. Denn auch Recruiter:innen haben Ängste. Nur sind diese im Alltag oft gut versteckt hinter Professionalität, Routinen und Zahlen.


Deshalb werfen wir mal einen Blick darauf, welche typischen Ängste im Recruiting-Alltag vorkommen, warum sie entstehen – und wie man ihnen begegnen kann.



Angst, nicht genügend oder nicht die richtigen Bewerber:innen zu finden


Es ist die wohl häufigste Angst im Recruiting – besonders in Zeiten des Fachkräftemangels:


„Was, wenn niemand auf die Anzeige reagiert?“
„Was, wenn die Pipeline leer bleibt?“

Diese Angst ist nachvollziehbar. Laut dem Hays Fachkräfte-Index (2024) gaben über 70 % der befragten Recruiter:innen an, Schwierigkeiten zu haben, qualifizierte Bewerbungen zu generieren.


Typische Symptome:

  • Aktionismus: Mehr Kanäle, mehr Tools, mehr Anzeigen – ohne klare Strategie

  • Frustration über „mangelnde Resonanz“

  • Tendenz, Verantwortung auf den Markt zu schieben („Die Bewerber taugen nichts mehr“)


Was hilft:

  • Daten statt Drama: Regelmäßige Auswertungen (z. B. mit Google Analytics, LinkedIn Insights oder Recruitee Reports) zeigen, welche Kanäle wirklich performen.

  • Candidate Personas: Wer Zielgruppen wirklich versteht, schreibt gezielter, wirbt authentischer und gewinnt Vertrauen.

  • Talentpools pflegen: Recruiting endet nicht mit der Absage – gepflegte Netzwerke senken den Druck bei neuen Vakanzen.


Recruiter:innen müssen lernen, zwischen Mangel und Mismatch zu unterscheiden – oft ist nicht der Markt leer, sondern die Suche zu unpräzise.



Angst, von den Fachbereichen nicht ernst genommen zu werden


Ein Klassiker – und einer der größten Frustrationsfaktoren. Viele Recruiter:innen erleben, dass Fachbereiche sie eher als „Umsetzungsgehilfen“ denn als Partner auf Augenhöhe betrachten.


„Können Sie mir bitte mal fünf Bewerbungen raussuchen?“
„Ich entscheide dann, wer passt.“

Dieses Machtgefälle führt zu Unsicherheit und einem Gefühl, „nicht wirklich dazugehören“.


Anzeichen:

  • Zögerliches oder devotes Auftreten gegenüber Hiring Managern

  • Reaktives statt proaktives Verhalten

  • Konfliktscheu bei unrealistischen Anforderungen


Was hilft:

  • Fakten schaffen: Recruiting-Daten, Marktvergleiche und Benchmarks stärken die eigene Position.

  • Business-Verständnis aufbauen: Wer die Sprache der Fachbereiche spricht (KPIs, Produktlogik, Markt), wird gehört.

  • Beratung statt Befehl: Statt „Das geht nicht“ lieber „So sieht der Markt aktuell aus – und so erhöhen wir unsere Chancen.“


Recruiting ist heute Business Partnering, nicht Prozessverwaltung. Wer sich als Sparringspartner versteht, verändert die Dynamik.



Angst, Erwartungen nicht erfüllen zu können


Der Druck ist enorm. Time-to-Hire, Cost-per-Hire, Conversion Rates, Candidate NPS – alles lässt sich messen.


Wenn Stellen unbesetzt bleiben oder Prozesse klemmen, landet die Verantwortung oft beim Recruiting-Team.


Typische Reaktionen:

  • Perfektionismus („Wir müssen erst alle Eventualitäten absichern“)

  • Überstunden, Dauerstress, Aktionismus

  • Rückzug („Ich kann’s eh keinem recht machen“)


Was hilft:

  • Realistische Zielvereinbarungen: KPIs gemeinsam mit Management und Fachbereichen festlegen, nicht top-down.

  • Priorisierung: Nicht jede Vakanz ist gleich wichtig – Fokus auf die Schlüsselrollen.

  • Offene Kommunikation: Probleme frühzeitig ansprechen, bevor sie eskalieren.


Wie eine LinkedIn Talent Solutions-Studie (2023) zeigt:

„The most effective recruiters are not those who promise everything – but those who manage expectations transparently.“


Angst vor der anspruchsvollen Technik im Recruiting


Recruiting ist heute Hightech: ATS-Systeme, AI-basierte Matching-Tools, Video-Interview-Plattformen, Talent-Intelligence-Software – kaum ein Bereich im HR verändert sich so rasant.


Viele Recruiter:innen fühlen sich davon überfordert:


„Ich kenne mich mit diesen Systemen gar nicht aus.“
„Was, wenn ich etwas falsch anklicke?“
„Ich habe keine Zeit, mich in jedes neue Tool einzuarbeiten.“

Diese Angst ist verständlich – aber gefährlich, wenn sie zu Vermeidungsverhalten führt.


Woran man das erkennt:

  • Tools werden nur oberflächlich genutzt („Wir tragen nur ein, was nötig ist.“)

  • Automatisierungsfunktionen bleiben deaktiviert

  • Neue Lösungen werden blockiert („Das bringt doch alles nichts.“)


Was hilft:

  • Schrittweise Annäherung: Niemand muss alle Tools perfekt beherrschen. Erst die Grundfunktionen sicher nutzen – dann erweitern.

  • „Digital Buddy“-Modelle: Technikaffine Kolleg:innen als Multiplikatoren einbinden, die praxisnah unterstützen.

  • Microlearning statt Schulungsmarathon: Kurze Lernhappen (z. B. über Recruitee Academy, Personio Learning Hub, LinkedIn Learning).

  • Mut zum Experiment: Recruiting ist kein Operationssaal. Fehler sind Lernschritte.


Und vor allem: Technik ersetzt nicht das Menschliche – sie verstärkt es, wenn man sie richtig einsetzt.



Angst, von Kandidat:innen abgelehnt zu werden


Recruiter:innen erleben im Schnitt mehr Zurückweisung als fast jede andere Berufsgruppe.

Ghosting, Absagen nach Zusagen, negative Kununu-Bewertungen – das alles trifft auf persönlicher Ebene.


Was hilft:

  • Professionelle Distanz: Nicht jede Absage hat mit der eigenen Kompetenz zu tun. Märkte, Gehalt und Timing sind externe Faktoren.

  • Feedback aktiv suchen: Rückmeldungen von Kandidat:innen sind Gold wert – und helfen, Kommunikationsmuster zu verbessern.

  • Wertschätzung leben: Wer Bewerber:innen fair behandelt, bleibt auch bei Absagen positiv im Gedächtnis.


Recruiting ist kein Wettbewerb, den man „gewinnt“. Es ist ein Dialog auf Augenhöhe.



Angst vor Kontrollverlust durch KI und Automatisierung


Seit Tools wie ChatGPT, hireEZ oder Manatal im Alltag Einzug halten, fragen sich viele Recruiter:innen:

„Werde ich bald ersetzt?“
„Wozu braucht man mich noch?“

Diese Angst ist verständlich – aber unbegründet, wenn man proaktiv handelt.


Was hilft

  • Toolkompetenz aktiv ausbauen: Zertifizierungen (z. B. LinkedIn Learning, Coursera, Recruitee Academy) schaffen Sicherheit.

  • Menschliche Stärken betonen: Empathie, Kontextverständnis, Kultur – hier ist KI blind.

  • KI als Assistenz begreifen: Nicht „entweder oder“, sondern „sowohl als auch“. Recruiting-Agenten wie Lindy oder Textoptimierer wie Jasper.ai können Routinearbeit erleichtern.


Recruiter:innen, die Technologie führen statt fürchten, sichern ihre Relevanz langfristig.



Angst, Fehler zu machen – und sie sichtbar zu machen


Recruitingfehler sind selten privat.

Ein falsches E-Mail-Merge, ein peinlicher Rechtschreibfehler in der Anzeige oder ein schlecht abgestimmtes Interview – alles ist öffentlich sichtbar.


Was hilft:

  • Fehlerkultur leben: Lernen statt Schuld. Niemand kann Innovation fordern und Perfektion verlangen.

  • Offenheit: Wenn etwas schiefgeht, transparent kommunizieren – das schafft Glaubwürdigkeit.

  • Teamlernen: Fehlerbesprechungen regelmäßig in Meetings integrieren.


Ehrlichkeit ist die beste Krisenprävention – auch im Recruiting.



Angst, den Sinn zu verlieren


Recruiting kann erfüllend sein – oder erschöpfend. Wenn Administration, KPI-Druck und Fachbereichskonflikte überwiegen, geht leicht verloren, warum man diesen Job macht.


Was hilft:

  • Purpose sichtbar machen: Erfolg nicht nur in Zahlen, sondern in Geschichten messen.

  • Selbstreflexion: Was motiviert mich wirklich? Was raubt Energie?

  • Community nutzen: Austausch mit anderen Recruiter:innen (z. B. #TAHub, #HRtw) bringt Perspektive.


Recruiting ist Beziehungshandwerk. Wer Sinn sieht, trägt Belastung besser.



Wie man als Recruiter:in konstruktiv mit Angst umgeht


  1. Angst anerkennen, nicht verdrängen. Unsicherheit ist kein Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck von Verantwortung.

  2. Austausch suchen. Mentoring, Peer-Learning, Supervision. Niemand muss das allein tragen.

  3. Erfolge sichtbar machen. Auch kleine Fortschritte stärken Selbstvertrauen.

  4. Professionalisierung fördern. Interviewtechnik, Kommunikation, Technik – jedes Lernfeld bringt Sicherheit.

  5. Selbstfürsorge leben. Pausen, Grenzen und Humor sind kein Luxus, sondern Teil der Professionalität.



Fazit: Mut zur Unvollkommenheit


Recruiter:innen tragen viel Verantwortung – oft ohne Macht. Sie sind Brückenbauer zwischen Menschen, Märkten und Management. Angst gehört dazu – aber sie darf kein Steuerrad sein.


Wer sie anerkennt, versteht und in Energie verwandelt, schafft das, was Recruiting heute wirklich braucht: Klarheit, Vertrauen und den Mut, Entscheidungen zu treffen – auch wenn sie nicht perfekt sind.


Oder, wie Brené Brown sagt:


„Vulnerability is not weakness – it’s our greatest measure of courage.“

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