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The Alignment Advantage Report: Wie Recruiting und Jobsucher KI nutzen – und wo Wahrnehmung und Bewertung auseinandergehen

  • Autorenbild: Marcus
    Marcus
  • vor 5 Stunden
  • 4 Min. Lesezeit

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Kürzlich bin ich über den The Alignment Advantage Report von Checkr gestolpert, in dem untersucht wurde, wie Recruiting-Teams und Jobsuchende KI im Recruiting- und Bewerbungsprozess nutzen, wahrnehmen und bewerten. Grundlage ist eine groß angelegte Befragung von jeweils 3.000 HR-Verantwortlichen und 3.000 Kandidat:innen, die in den letzten sechs Monaten aktiv im Bewerbungsprozess waren.


Was den Report spannend macht:

Er zeigt sehr differenziert, wo beide Seiten ähnliche Vorstellungen, Erwartungen und Nutzungsintensitäten haben – und wo ihre Einschätzungen deutlich auseinandergehen. Genau aus diesen Unterschieden lassen sich wichtige Erkenntnisse und konkrete Handlungsansätze für Recruiting-Teams ableiten, die heute KI einsetzen oder den Einsatz planen.



Die Studienbasis: 6.000 Perspektiven auf KI im Recruiting


Der Report betrachtet unter anderem folgende Fragen:


  • Welche KI-Tools werden von HR-Teams genutzt?

  • Welche KI-Tools setzen Kandidat:innen ein?

  • Wie werden Fairness, Transparenz und die Wirkung von KI wahrgenommen?

  • Wo zeigen sich Übereinstimmungen – und wo klare Differenzen?


Der Fokus liegt also nicht auf Strategiemodellen oder Zukunftsvisionen, sondern auf einer systematischen Gegenüberstellung zweier Perspektiven auf denselben Prozess: Recruiting auf Unternehmensseite und Jobsuche auf Kandidatenseite.



KI-Nutzung im Recruiting: Prozessunterstützung auf Unternehmensseite


HR-Teams setzen KI heute vor allem dort ein, wo sie Prozesse effizienter, schneller und konsistenter macht. Besonders häufig genannt werden:


  • Resume-Screening

  • Interview-Zusammenfassungen

  • automatisierte Terminplanung

  • Background-Checks


Interessant ist dabei:

Nur etwa ein Viertel der HR-Teams verfügt über klare Ziele, KPIs und strukturierten Management-Support für den KI-Einsatz. Das bedeutet: KI ist bereits weit verbreitet, wird aber in vielen Organisationen noch stärker operativ als strategisch gesteuert.



KI-Nutzung auf Kandidatenseite: Optimierung der eigenen Positionierung


Auch Jobsuchende nutzen KI inzwischen in großem Umfang. Rund 61 % der Bewerber:innen geben an, KI im Bewerbungsprozess einzusetzen – vor allem für:


  • die Optimierung des Lebenslaufs

  • Anschreiben

  • Job-Matching

  • Interview-Vorbereitung


Während Unternehmen KI primär zur Prozesssteuerung, Organisation und Selektion nutzen, dient sie Kandidat:innen vor allem zur Optimierung der eigenen Darstellung und Passung zum Stellenprofil. Beide Seiten greifen also auf ähnliche Technologien zurück – allerdings mit unterschiedlichen funktionalen Zielsetzungen.



Gemeinsame Werte: Starke Übereinstimmungen bei Ethik und Prioritäten


Trotz dieser unterschiedlichen Rollen zeigt der Report bemerkenswerte Gemeinsamkeiten in den Wertvorstellungen:


Sowohl HR als auch Kandidat:innen nennen als wichtigste ethische Leitplanken:


  • Datenschutz

  • Transparenz bei KI-gestützten Entscheidungen

  • Fairness über alle Demografie-Gruppen hinweg


Diese Übereinstimmung ist hoch relevant, denn sie zeigt:

Der Einsatz von KI wird auf beiden Seiten nicht nur unter Effizienzgesichtspunkten betrachtet, sondern auch klar unter ethischen Gesichtspunkten.



Wo Wahrnehmung und Bewertung deutlich auseinandergehen


Trotz gemeinsamer Werte zeigt sich im Report ein klarer Wahrnehmungs- und Bewertungsunterschied zwischen den Nutzergruppen, die für Recruiting-Teams besonders relevant sind.



Transparenz: Informiert sein vs. sich informiert fühlen


Ein zentrales Ergebnis des Reports:


  • Rund ein Drittel der Kandidat:innen gibt an, nie darüber informiert worden zu sein, dass im Bewerbungsprozess KI eingesetzt wurde.

  • Gleichzeitig sind viele HR-Teams der Ansicht, dass sie transparent über Tools und die Zuständigkeiten zwischen Mensch und KI informieren.


Hier zeigt sich kein faktischer Widerspruch, sondern ein Unterschied zwischen formaler Information und gefühlter Transparenz:


  • HR bewertet Transparenz häufig danach, ob Informationen grundsätzlich vorhanden sind.

  • Kandidat:innen bewerten Transparenz danach, ob sie den KI-Einsatz im konkreten Prozess bewusst wahrnehmen und einordnen können.



Fairness: Unterschiedliche Vertrauensniveaus gegenüber KI


Auch bei der Bewertung von Fairness gehen die Einschätzungen auseinander:


  • Mehr als die Hälfte der HR-Manager:innen hält KI-gestützte Entscheidungen für mindestens so fair wie menschliche Beurteilungen.

  • Auf Kandidatenseite stimmt dem nur etwa ein Drittel zu.

  • Ein ähnlich großer Anteil steht KI eher skeptisch gegenüber.


HR bewertet KI vor allem entlang von:


  • Konsistenz

  • Standardisierung

  • Reduktion individueller Verzerrungen


Kandidat:innen bewerten Fairness hingegen stärker über Fragen der Nachvollziehbarkeit, individueller Bewertung und erkennbarer menschlicher Verantwortung.



Wirkung auf die Menschlichkeit des Prozesses


Besonders deutlich fällt der Unterschied bei der erlebten Persönlichkeit des Prozesses aus:


  • 75 % der Bewerber:innen empfinden KI-gestützte Recruitingprozesse als unpersönlicher.

  • Nur ein vergleichsweise kleiner Anteil der HR-Leitungen nimmt diesen Effekt in ähnlicher Stärke wahr.


Für HR steht häufig die Prozessqualität im Vordergrund (Tempo, Struktur, Dokumentation).

Für Kandidat:innen steht die Beziehungsqualität im Vordergrund (Rückmeldung, Erreichbarkeit, individuelle Ansprache).


Automatisierung steigert damit objektiv die Effizienz – wird subjektiv jedoch oft als Distanz erlebt.



KI auf beiden Seiten – und neue operative Graubereiche


Der Report zeigt außerdem deutlich, dass sich durch die parallele KI-Nutzung auf beiden Seiten neue Spannungsfelder ergeben:


  • Unternehmen setzen KI zur Selektion und Bewertung ein.

  • Kandidat:innen nutzen KI zur Optimierung von Unterlagen und Antworten sowie zur Vorbereitung.


Daraus ergeben sich neue operative Fragen:


  • Was gilt als legitime Unterstützung?

  • Wo beginnt Täuschung?

  • Wie geht man mit KI-generierten Texten, Tests oder Deepfake-Elementen um?


Der Report bewertet diese Entwicklung nicht normativ, macht aber klar:

Je stärker KI auf beiden Seiten eingesetzt wird, desto wichtiger werden klare Regeln, Kommunikation und methodische Sicherheit.



Was Recruiting-Teams jetzt konkret tun können


Aus den dargestellten Unterschieden lassen sich sehr konkrete Handlungsfelder für Recruiting-Teams ableiten:



1. Transparenz operativ sichtbar machen

Transparenz entsteht nicht durch Datenschutzerklärungen, sondern im erlebten Prozess:

  • klare Hinweise im Screening

  • verständliche Einordnung bei Interviewauswertungen

  • sichtbare Zuständigkeit bei Entscheidungen


2. Fairness erklärbar machen

Nicht nur entscheiden, sondern Entscheidungen nachvollziehbar kommunizieren:

  • Kriterien klar benennen

  • Rückmeldungen strukturieren

  • menschliche Verantwortung sichtbar lassen


3. Automatisierung klar von Entscheidung trennen

  • KI für Organisation, Struktur und Vorbereitung

  • Mensch für Bewertung, Einordnung und finale Entscheidungen


4. Menschliche Kontaktpunkte bewusst einplanen

  • individuelle Rückmeldungen an kritischen Stellen

  • erreichbare Ansprechpartner:innen

  • persönliche Kommunikation bei Übergängen


5. KI-Nutzung auf Kandidatenseite aktiv mitdenken

  • Recruiter:innen für KI-optimierte Bewerbungen sensibilisieren

  • klare interne Leitlinien entwickeln

  • Erwartungen an Aussagekraft von Unterlagen realistisch justieren


6. Wahrnehmung systematisch messen

Neben Prozesskennzahlen auch erfassen:

  • Transparenzwahrnehmung

  • Fairness-Eindruck

  • erlebte Wertschätzung


7. Teams gezielt sensibilisieren

Die größten Wirkungshebel liegen im operativen Alltag:

  • Schulungen

  • interne Reflexionsformate

  • gezielte Workshops zur Prozessanalyse aus beiden Perspektiven



Fazit


Der The Alignment Advantage Report von Checkr zeigt sehr klar:

Recruiting-Teams und Jobsuchende nutzen KI heute intensiv – jedoch mit unterschiedlichen Zielsetzungen, Wahrnehmungen und Bewertungsmaßstäben.


Beide Seiten teilen:

  • zentrale ethische Grundwerte

  • den Wunsch nach Effizienz

  • den Anspruch auf faire Prozesse


Gleichzeitig unterscheiden sich ihre Einschätzungen deutlich:

  • bei Transparenz,

  • bei der Wahrnehmung von Fairness,

  • und bei der Wirkung auf die Menschlichkeit des Prozesses.


Für Recruiting-Teams liegt der entscheidende Hebel deshalb nicht in mehr Technologie, sondern in der bewussten Gestaltung der Schnittstellen zwischen Automatisierung, Kommunikation und menschlicher Verantwortung. Genau hier entscheidet sich, ob KI als professionelle Unterstützung oder als unpersönlicher Filter wahrgenommen wird.

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